Montag, 17. Januar 2011

Buchauszug: Poesie des Vedanta von Sri Shankaracharya

Kurzbiografie von Shankaracharya


Für Shankaracharyas zeitlose Bedeutung als Philosoph, Reformator und Mystiker sprechen die vielen Biografien, die über tausend Jahre nach ihm von indischen und westlichen Autoren, zum Teil erst in den letzten zehn Jahren, veröffentlicht wurden. Vieles im Leben Shankaracharyas ist legendär. Nur weniges erscheint historisch gesichert. Auch die von den Gelehrten überwiegend anerkannte Lebensspanne (788–820 A.D.) wird von manchen um Jahrhunderte früher angesetzt. Unbestritten ist die Tatsache, dass sein Wirken in eine Zeit geistigen Umbruchs fällt.

Wichtig sind für den westlichen Leser die geistige Hinterlassenschaft, die Lehren des erleuchteten Shankaracharya über die Philosophie des Advaita-Vedanta, die Wissenschaft von der Absoluten Wirklichkeit und der Identität des Selbst aller Lebewesen mit dem Absoluten. Wir beschränken uns in der Folge auf die allgemein anerkannten Angaben über das Leben des großen Meisters im alten Indien.

Geburt und Jugend
Shankaracharya (Meister Shankara) – auch Bhagavatpada oder nur Shankara genannt - wurde 788 n.Chr. in die orthodoxe Priesterfamilie der Nambudaris im Dorf Kaladi, Kerala, Südindien, geboren. Sein Vater hieß Shivaguru, seine Mutter Aryambal.

Schon im zarten Alter zeigte Shankara seine überragende Geisteskraft. Dank seines außergewöhnlichen Gedächtnisses konnte er lange Sanskrit-Texte nach nur einmaligem Anhören vollständig wiedergeben. Die Biografen Shankaras - Madhava und Anandagiri -
erzählen von vielen Ereignissen in seiner Jugend, die das große geistige Potential und seine philosophisch-mystische Veranlagung erkennen ließen.

Noch nicht 16-jährig hatte Shankara das Studium der gesamten vedischen Literatur mit Auszeichnung abgeschlossen. Äußerst interessiert an Philosophie und inneren Werten entschloss er sich, Mönch zu werden und die Wahrheit über die Welt und Gott in unmittelbarer, mystischer Erfahrung zu erkennen.

Auf der Suche nach einem erleuchteten Meister fand er Govinda Bhagavatpada, der am Fluss Narmada in Zentralindien mit seinen Schülern lebte. Dort übte sich Shankara in geistigen Disziplinen und vertiefte sich ins Studium der Upanishaden und anderer mystischer Lehren. Durch die harte Schule des Meisters erreichte er in kurzer Zeit das Ziel seines geistigen Strebens. Sodann beauftragte ihn Govinda Bhagavatpada, die Lehre des Advaita - der Einheit der Seele mit Gott, dem Absoluten Bewusstsein - in ganz Indien den Menschen aller Schichten und Stände zu vermitteln.

Verbreitung der Advaita-Lehre
Im Wallfahrtsort Badrinath - in den Himalayas -, verfasste Shankara zunächst ausführliche Kommentare zu den drei wichtigsten Werken der vedantischen Literatur: den Brahma-Sutras, den 10 älteren Upanishaden und zur Bhagavad-Gita. Darin legte er seine Erkenntnis nieder, dass die individuelle Seele und das Absolute Bewusstsein in ihrer Essenz ein und dasselbe sind.

Da die Menschen im Indien der damaligen Zeit schriftgelehrten Philosophen und Meistern gegenüber Herzoffenheit und Lernbereitschaft entgegenbrachten, nutzte Shankara sein Genie nicht allein im Unterweisen ehrfurchtsvoller Schüler. Er setzte sich als Lebensziel, den Leitern sämtlicher philosophischen Schulen, welche die Einheit der Seele mit Gott nicht erfassten und die Menschen in die Irre führten, durch philosophische Debatten das tiefere Verständnis zu ermöglichen. Wohl aus diesem Grund ist Advaita-Vedanta im heutigen Indien so weit verbreitet.

Mit diesem Ziel vor Augen reiste Shankara durch ganz Indien, von Stadt zu Stadt, und verbreitete seine Lehre. Neben seiner intellektuellen Arbeit setzte er Hunderte von Tempeln instand und errichtete Klöster und Akademien für Philosophie. Von manchen wurde er als religiöser Rebell verachtet. Den meisten Menschen Indiens aber schenkte er Hoffnung. Sie gewannen durch ihn die Aussicht, dass jeder, der sich im Geist der alles Leben und alle Existenz durchdringenden göttlichen Gegenwart zuwendet, diese im Inneren zu erfahren und erkennen vermag. Daher wurde er als „Meister“ (Acharya) und sogar „Welten-Lehrer“ (Jagad-Guru) bezeichnet.

Im Anschluss an seine schriftlichen Kommentare zu den drei vedantischen Hauptwerken verfasste der Meister inhaltlich übersichtliche philosophische Lehrbücher in einer für den Laien verständlichen, aber hoch poetischen Sprache. Dazu gehören: Vivekacudamani (Kronjuwel der Unterscheidung), Atma-Bodha (Selbst-Erkenntnis), Sarva-Vedanta-Siddhanta-Sara-Sangraha (Zusammenfassung der Kernlehren aller Upanishaden), Upadesha-Sahasri (Tausend Lehrsätze) und viele andere. Sein literarischer Nachlass umfasst zehn Bände in Devanagari-Silbenschrift. Manche Werke, die Shankara zugeschrieben werden, sind vielleicht von seinen Nachfolgern verfasst worden. Nichtsdestotrotz kommt in allen Werken seiner Tradition ein mächtiger vedantischer Geist zutage, der ohne Zweifel bei Shankara selbst seinen Anfang hat.

Am Ende seines kurzen Erdenlebens - Shankara waren nur 32 Jahre beschieden - hatte er der Advaita-Lehre ein derart solides Fundament gegeben, dass sie in den 1200 Jahren, die seither vergangen sind, nichts an ihrer ursprünglichen Bedeutung verloren hat.

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