Die Methode der Befragung des Tarot
Man muß sich von vornherein darüber klar sein, daß es keine allgemeingültige Regel für die praktische Operation der Befragung des Tarot gibt. Wir wollen deshalb an dieser Stelle eine Methode angeben, die Oswald Wirth in seinem großen Werk über den Tarot wiedergibt, eine Methode, die dieser selbst von Stanislas de Guaita erhielt, der sie wiederum von dem bekannten Romancier Joséphin Péladan übernahm. Diese Methode zeichnet sich gegenüber anderen gleicherweise durch ihre Logik und ihre Einfachheit aus.
Nachdem die Frage gestellt ist, wird die Antwort von vier Arcana gegeben, die nacheinander aus dem Tarot herausgezogen werden, wie unten angegeben.
Das zuerst gezogene Arcanum wird als bejahend angesehen. Es spricht zugunsten der Sache und bezeichnet in einer allgemeinen Weise, was dafür ist.
Dagegen ist das als zweites gezogene Arcanum verneinend und stellt dar, was dagegen ist.
Das als drittes herausgekommene Arcanum stellt den Richter dar, der die Sache erörtert und das Urteil bestimmt.
Dieses selbst wird von dem als letztes gezogenen Arcanum gesprochen.
Ein fünftes Arcanum erhellt vollends das Orakel, das es zusammenfaßt, denn diese fünfte Karte hängt von den vier gezogenen ab. Eine jede von diesen trägt ihre Zahl, ihre Nummer im Tarot. (Der Narr zählt dabei 22). Diese vier Zahlen werden addiert, und deren Zahl gibt die Nummer des fünften Arcanums. (Ist diese Zahl höher als 22, so wird ihre Quersumme gebildet, die dafür eintritt, z. B. 25 hat die Quersumme 2 + 5 = 7; 33 hat die Quersumme 3 + 3 = 6 usw.)
Zunächst also muß die Frage des Ratfragenden sinnvoll und deutlich formuliert werden. Nur so kann auch eine sinnvolle und deutliche Antwort erwartet werden. Der Operator mischt alsdann die 22 Arcana und fordert den Ratfragenden auf, ihm ohne Besinnen eine Zahl zu nennen, die jedoch nicht über 22 sein darf. Die so besinnungslos genannte Zahl gibt an, wieviel Karten von dem Spiel abzuheben sind. Die hierbei zuletzt abgehobene Karte wird aufgedeckt, sie gilt als das affirmierende, bejahende Arcanum. Die Nummer, die diese Karte trägt, wird aufgeschrieben. Dann werden alle 22 Karten erneut gemischt und der Ratfragende gibt wiederum eine Zahl an. Wiederum werden entsprechend viele Karten abgehoben und die letzte umgeschlagen. Sie stellt das verneinende Arcanum dar, ihre Nummer wird aufgeschrieben. Zum dritten Mal wird das ganze Spiel gemischt, eine Zahl genannt, entsprechend abgehoben und umgeschlagen. So erhält man den „Richter", dessen Kartennummer aufgeschrieben wird. In gleicher Weise wird zum vierten Mal verfahren, um das „Urteils-Arcanum" zu erhalten.
Nun bleibt nur noch das Arcanum zu bestimmen, das aus den vier erhaltenen Arcana die „Synthese" liefert. Zu diesem Zweck addiert man die aufgeschriebenen Nummern der vier Arcana. Deren Summe gibt die Nummer der Karte an, die als Synthese zu gelten hat. Dabei steht 22 für den Narren. Ist aber die Summe größer als 22, so ist ihre Quersumme für die Synthese zu ziehen, z. B. 38: 3 + 8 =11. Die so ermittelten Arcana werden in Form eines Kreuzes ausgebreitet.
Es ist also zu beachten, daß die Bejahung auf alles das hinweist, was günstig ist und was sich zu tun empfiehlt, auf welche Eigenschaft, welche Tugend, welchen Freund und Helfer man rechnen kann. Demgegenüber bezeichnet die Verneinung alles, was feindlich und ungünstig ist, was man vermeiden oder fürchten muß, den Fehler, das Laster, den Feind, die Gefahr, die verderbenbringende Versuchung.
Erörtert man dann in der Diskussion an Hand des 3. Arcanums die Lage, so fällt Licht auf den zu fassenden Entschluß. Das Urteil gibt unter Abwägung des Für und Wider mit Zuhilfenahme der Synthese den Grad der Aussicht für die Realisation, für das Gelingen oder Mißlingen der beabsichtigten Unternehmung, so daß der Ratfragende in die Lage versetzt ist, seinen wahren Willen zu erkennen und zu erkönnen. Denn der wahre Wille kann sich erst bilden, wenn er frei von allen Leidenschaften den Weg zum Ziel überschaut. Man hat also vor allen Dingen bei der Synkrise von Für und Gegen herauszubekommen, in welchem Punkt die Verneinung im einzelnen Fall der Bejahung entgegen ist.
Man hat damit zu rechnen, daß mitunter eine Lösung aussichtslos erscheint. In diesem Fall empfiehlt es sich, das Verfahren von neuem zu beginnen, wobei eventuell die Fragestellung zu modifizieren ist. Zwei Beispiele mögen das Gesagte kurz erläutern: Nehmen wir an, der Ratfragende sei ein Mann, der durch Krieg und Gefangenschaft aus seiner Karriere geworfen worden sei und vor dem Dilemma steht, ob er trotz seiner jahrelangen Unterbrechung und Entfremdung seine wissenschaftlichen Studien von neuem aufnehmen oder resignieren soll, um sich mit einem praktischen Broterwerb zu begnügen. Eine Befragung des Tarot soll seine Intuition anstacheln, daß er sich zu einer klaren Entscheidung entschließen kann. Er habe nach Vorschrift die vier Zahlen der Reihe nach unter Ausschluß jeder Überlegung angegeben, so daß die folgenden 4 Arcana aufgedeckt worden sind:
1. Gerechtigkeit — 2. Wagen — 3. Teufel — 4. Eremit.
Die Nummern dieser Karten (8, 7, 15, 9) geben addiert 39.
Quersumme: 3+9=12. Die Synthese ist also 12, der Gehängte.
Bejahung: die Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit ist einwandfrei dafür, daß der Mann sein wissenschaftliches Studium, wenn er darin seine wahre Bestimmung und seinen Beruf erblickt, durchführt. Sie verspricht ihm sein wahres seelisches Gleichgewicht durch die Erkenntnis seines wahren Willens und die Bejahung desselben.
Verneinung: Der Wagen, der von zwei auseinanderstrebenden Kräften, dem höheren idealen Streben und den niederen materiellen Trieben, hin und her gerissen wird, weist auf die großen Schwierigkeiten und Konflikte hin, die diesen Entschluß unaufhörlich bedrohen, die Beharrlichkeit des Willens zu zermürben suchen und unseren Mann noch vor dem Ziele zum Scheitern bringen können.
Richter: Der Teufel unterstützt in der Diskussion die Verneinung, er ist der Geist, der stets verneint, das Prinzip der Materialität, das den Geist von seinem „Urquell" abzuziehen sucht. Aber derselbe Geist ist auch „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft". Indem er den Willen zu brechen sucht, wird dieser nur umso reiner und stärker, wenn er über die Versuchung triumphiert.
Urteil: Der Eremit, der Einsiedler in der Wüste, kommt hier wie gerufen, um durch sein Beispiel diese Wirkung des Bösen für das Zustandekommen des Guten zu erhärten (vgl. die Versuchung Christi in der Wüste). Ein hohes Ziel kann nur durch beharrlichen, unbeugsamen Willen erreicht werden. Vor die Arete, die Tüchtigkeit, haben die Götter den Schweiß gesetzt. Unser Mann wird sein Ziel erreichen, wenn er wie der Eremit Entsagung von den trügerischen Versprechungen der Welt zu üben imstande ist und, was die Synthese in diesem Falle, der Gehängte, bedeutungsvoll anzeigt, Opfer zu bringen bereit ist. Wenn unser Mann die symbolischen Ratschläge des Tarot zu seinem Charakter macht, so wird er Erfolg haben.
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